Freitag, 25. Juli 2008

Obama in Berlin, ich auch. Sowas wie ein Reisebericht.

Ich bin gestern nach Berlin gefahren um, wie so viele andere auch, Obama zu sehen. Viel gesehen habe ich nicht, aber ein bisschen, und viel mehr konnte man bei dem Andrang dann wohl auch kaum erwarten.
Um das letzte als erstes abzuhandeln, ich bin mit der Rede zufrieden. Die Kernaussagen (Umweltschutz, Atomwaffenfreiheit, Gleichberechtigung der Religionen und Völker, Bekämpfung von Armut zur Bekämpfung des Terrors…) sind aus beliebig vielen Ansprachen bekannt, lediglich, dass dies in einen globaleren Kontext verpackt wurde, war neu. Auch fehlten selbstverständlich einige Phrasen, die auf heimischen Boden zu Standardrepertoire des Senators gehörten (”Taxcuts for those who dont need them, and didn’t even ask for them”)  weil dies eben rein domestische Themen sind, die aus dem Berliner Publikum nur die wenigsten Verstanden hätten. Auch religiöse Themen wurden ausgeklammert, Obama berief sich in der Rede nie selbst auf Gott als Motivation, was er in den USA durchaus tut (dort wohl auch, um zu bestärken, dass er kein Moslem ist, was aber in der restlichen Welt keinen interessiert).
Die Rede war also wie erwartet, und da die Erwartung an diese Rede gereicht hatte um mich von Lübeck nach Berlin fahren zu lassen, war sie verdammt gut. Hier ist sie nochmal als Youtube-Video.
By The Wy: Warum ist “My father grew up herding goats in Kenia.” eine der größten Applauszeilen der Rede? Das ist mal ein großer Unterschied zu den US-Reden, wo die Zeile nie für eine Unterbrechung sorgt (vielleicht wissen in den USA üblicherweise nicht genug Leute wo oder was ein Kenia ist).
So also endete gestern mein Tag. Ich hatte ihn vollständig auf den Füßen verbracht, ich hatte Hunger und Durst, die Sonne blendete mich, so dass ich Barack Obama nur schlecht sehen, und noch schlechter Fotografieren konnte. Aber es war dennoch sehr Cool.
Obama
Etwas schwer zu sehen, aber da ist Obama
Angefangen hat alles um 9 Uhr, als ich nach einigen Stunden im Zug aus dem Bahnhof Alexanderplatz ausstieg.
Was die nächsten Stunden folgt, ist der übliche Turissmuskram (es sind ja noch 7 Stunden bis zum Einlass auf das Gebiet vor der Siegessäule) Fernsehturm, Museumsinseln, Neu Wache (wird von vielen ignoriert, ist aber wert angesehen zu werden), Gendarmenmarkt, Deutscher Dom (Interessante Ausstellung über die Entstehung der Demokratie in Deutschland) und zurück zu Unter Den Linden. Das ganz findet unter einer absurden Polizeipräsenz statt. An nahezu jeder Ecke stehen sie, fahren im Minutentakt auf den Straßen. Ein Hubschrauber kreist den gesamten Tag langsam über Berlin.
NeueWache
Die Neue Wache
Es ist gegen halb Zwölf, ich stehe unter den Linden, ich habe mich entschieden einige Sachen vorläufig von meinem Plan zu stoßen, um scher zu sein, dass ich um 16:00 Uhr bei der Siegessäule bin. Ein altes Stück mauer, der Bundesrat, der Potsdamer Platz und das Sony Center müssen ohne mich klar kommen. Ich gehe zum Brandenburger Tor.
Dort angekommen sehe ich eine große Menschenmenge. In ihr überall Fotografen (richtige Presse, nicht irgendwelche Leute mit Fotoapparat), ich frage also warum man da steht, und erfahre, der Obama soll hier gleich vorbei laufen. Es ist 12:00, und da ich einige Sehenswürdigkeiten entfallen lassen habe liege ich nun etwas vor meinem Zeitplan und außerdem bin ich ja eigentlich wegen Obama hier, er ist eine Sehenswürdigkeit die ich nicht an einem anderen Tag nachholen kann, also stelle ich mich dazu.
Die Polizisten bauen weitere Absperrungen auf, bitten die Leute weiter zurück zu gehen, was viele nicht tun, woraufhin sie etwas lauter werden. Wir stehen. Der Pressebus der “Obama 08-Campain” fährt zwei mal vorbei und lädt ein paar Reporter ab (oder nimmt welche auf). Unter Umweltschutzaspekten sicherlich etwas unbedacht, im Bus sitzen meist nur ein oder zwei Leute.
Leierkastenmann
Der Leierkastenmann sollte eigentlich auch hinter die
Absperrung, aber er hat den Polizisten einfach
ignoriert und spielte sein Obama-Lied
zu Ende. Das Publikum war klar auf seiner Seite.
Ich treffe zufällig in der Menge einen alten Freund aus Hamburg. Wir warten gemeinsam weiter. Hören Reportern zu, die lustige Sachen erzählen (die Wissen wie man sich Warten interessant macht, aber andererseits tun sie auch nie irgend was anderes). Um es kurz zu machen, Obama kommt nicht. Ein Typ, der Fotos für Bild macht, bekommt einen Anruf, er sei durch den Hintereingang des Hotels davon gefahren. Es ist 14:30. 2,5 Stunden die ich nicht zurück bekomme.
Nachholen kann ich jetzt nichts mehr, also jetzt noch schnell die Essentials östlich des Tors unterbringen. Als erstes das Denkmal für die Ermordeten Juden Europas. Es ist größer als ich gedacht hätte, und es ist besser. Eine Weile ziellos darin zu gehen vermittelt tatsächlich ein gewisses Ausmaß an Beklemmung. Nach jeder Säule ist der Blick ziemlich genau der gleiche, und vom Himmel sieht man immer nur Schnipsel. Es ist befreiend, wenn man wieder hinaus geht. Mehr kann man von einem Denkmal kaum erwarten.
Denkmal
Das Mahnmal
Nach dem Mahnmal muss ich etwas essen, und verliere Zeit die ich nicht habe (insbesondere weil man nirgends etwas zu vernünftige Mengen an Essen und Trinken zu auch nur ansatzweise vertretbaren Preisen findet) ich laufe bis zum Bahnhof Friedrichsstraße, dort ist ein Supermarkt.
Der nächste Stop ist der Reichstag, es stellt sich heraus, dass der Umweg zum Bahnhof doch nicht so schlecht war, so gehe ich die Spree entlang zum Reichstag, was ein paar Blicke abseits der üblichen Postkarten bietet. (Nicht sehr Abseits davon, aber ein bisschen). Der Reichstag lässt noch Besucher aufs Dach (bis  22:00, aber das nur am Rande) und die Schlange ist kurz. Die Schlange ist wahrscheinlich auch nur deshalb so kurz weil es viertel vor Vier ist, demnächst beginnt der Einlass aufs Gelände vor der Säule.
Ein Berlinbesuch ohne auf den Reichstag zu gehen komm für mich dennoch nicht in Frage, also 30 Minuten warten, rauf, Fotos machen, wieder runter. Rüber zum Kanzleramt, mit kurzer Pause um ein Mobiles Studio von NBC zu bewundern wo irgend ein (sicherlich furchtbar bekannter) Reporter vor der Kulisse des Reichstages dem amerikanischen Publikum erzählt wo er ist und warum.
Vom Kanzleramt geht es dann die Straße des 17. Juni, die schon recht voll ist, runter. Ich kaufe ein paar Obama Artikel auf dem Weg. Unterhalte mich mit netten Leuten über einige der absurden Fanartikel (”A Tsunami Of Change”-T-Shirts). Der Platz vor dem Security Check ist völlig überfüllt. Die Masse scheint sich auch nicht zu bewegen. Ich stelle mich irgendwo an, bemerke aber bald dass ich nicht nur subjektiv (das ist man ja immer) sondern auch objektiv in der langsamsten Schlange bin. Ich stelle mich woanders an, und tatsächlich bewegt sich von Zeit zu Zeit was.  Es dauert 90 Minuten um die 10 Meter zwischen mir und der Sicherheitskontrolle zu überwinden. Als ich ankomme muss ich jedes technische Gerät einmal anschalten, wohl um zu beweisen, dass es sich tatsächlich um ein funktionierendes Handy oder einen funktionierenden Fotoapparat handelt, und nicht um eine Pistole in Form selbiger, ich muss mein Buch durchblättern um zu zeigen, dass ich darin nichts verstecke, ich muss Kugelschreiber kurz klicken, muss mein Portemonnaie und mein Brillenetui öffnen. Ich habe nichts zu trinken dabei, aber mitnehmen hätte ich es eh nicht dürfen (selbiges gilt, wie die Frau vor mir erfuhr für Sonnencreme, außer sie testet sie an sich selbst, damit klar ist es handelt sich nicht um Säure oder Giftgas oder was auch immer), andere Tests, die ich nicht durchlaufen musste, sind z.B. das Aufmachen und teilweise rausdrehen aller Lippenstifte (wohl wegen versteckter Messer) sowie öffnen von Pillenschachteln.
Kontrolle
Ausschnitt der Schlange vor der Security
Wer sich bei einer der  Maßnahmen weigert, oder nicht bereit ist Messer, Regenschirme und andere Spitze metallene Gegenstände (Nagelfeilen, Scheren aller Art) oder aber auch Luftpumpen (frag mich nicht warum) in den Müll zu schmeißen, kommt nicht aufs Gelände und kann die Veranstaltung auf den Großbildschirmen verfolgen.
Danach muss ich noch durch den Metalldetektor laufen.
Es ist etwa 18:30 als ich aufs Gelände gehe. Wirklich nah an die Bühne kommt man nicht mehr. Ich schaue wie weit ich mich nach Vorne mogeln kann, ohne wirklich dreist zu werden, sehr weit ist es nicht. Zu den Leuten aus Hamburg, mit denen ich mich eigentlich hier wieder treffen wollte, schaffe ich es nicht.
Obamas Rede soll angeblich, so stand es im Spiegel, eine Stunde dauern. Um 21:18 geht mein Zug. Als Obama zu spät komm werde ich etwas unruhig. Die Rede beginnt zwanzig Minuten zu spät, und dauert nur 27 Minuten.
Danach geht es die Straße des 17. Juni wieder zurück. Das Gedränge ist unglaublich. Ich habe keine Ahnung wie “200.000 Leute” aussieht, oder wie genau man sowas abschätzt, aber egal wie viele es genau waren, man kann sich als eine solche Masse offensichtlich nicht schnell bewegen. Mir fällt plötzlich ein, dass ich die ganze Rede im Gedränge über wunderbar hätte beklaut werden können (Portmonnaie in der hinteren Hosentasche, iPod in der offenen Jackentasche…) aber alles ist noch da. Obamafans sind ehrliche Leute.
Zuruck
Auf dem Weg zurück Richtung Brandenburger Tor
Ich hört man Leute über die Rede sprechen, das Englisch einiger ist offensichtlich mäßig. Die Arroganz einer Frau, die ohnehin erzählt nur von Zeit zu Zeit zugehört zu haben weil es “so anstrengen und so” sei ist lustig. An einer stelle habe sie was mit Afganistan gehört und Drogen, und dann haben alle geklatscht, sie fände aber man solle nicht über Drogen klatschen und frage sich, ob das Publikum verstanden hat, “was der gesagt hat”. Es ist schön zu wissen, dass es Leute gibt, die sich zu 200.000 andere Menschen stellen, und wenn sie anderer Meinung sind als die Menge, dann ist dennoch klar wer recht hat.
Ich schaffe es rechtzeitig zum Bahnhof. Todmüde sinke ich in meinen Sitz. Die Fahrt über lese ich dennoch, ich will meine Haltestelle nicht verschlafen.